Ein Tag nach der US-Wahl und weitere Dinge...

I

Seien Sie herzlich willkommen zu rallentando vom 04. November 2020. In der vergangenen Nacht ist die Präsidentschaftswahl in den USA entschieden worden.
Weil wir dieses Video vorher schon aufgezeichnet haben, kenne ich den Ausgang noch nicht. Aber ich wage dennoch eine kleine Prognose: Wie auch immer die Wahl verlaufen ist, die Unsicherheit wird durch ihren Ausgang nicht verkleinert worden sein. Es gibt ja nicht so viele Möglichkeiten: Entweder ist Donald Trump wiedergewählt worden. Dann werden die alten Probleme mit ihm die neuen sein. Oder Joe Biden ist der Sieger der Wahl: Dann wird sich alle Welt nun fragen, was das für sie bedeutet. Denn vorab war das ja nicht ganz klar. Oder - und diese Variante ist wohl die zermürbendste: Es gibt auch heute Morgen noch keinen klaren Sieger.

Wenn Sie dieses Video schauen, sind Sie in der komfortablen Lage, schon zu wissen, welche dieser Unsicherheiten in Sachen USA uns nun beschäftigen wird.

II

Die Wahl ist nur ein Ereignis unter vielen anderen, die uns im Moment auf Trab halten: Die Corona-Krise ist das, was uns allen gewiss am meisten zu schaffen macht. Den einen, weil sie berechtigte Angst um die Wirtschaft insgesamt haben, den anderen, weil sie sich um ihr persönliches Einkommen und Auskommen sorgen müssen.
Es gibt sicher zugleich auch immer mehr Menschen unter uns, die medizinisch direkt betroffen sind - sei es, weil sie selbst erkranken, sei es weil sie um die Gesundheit oder das Leben von Menschen bangen, die ihnen nahe sind.

Dann sind da noch die Klimakrise und die Nachwirkungen der Finanzkrise, der globale Konflikt des Westens mit den autoritären Regimen der Welt und vieles andere mehr.

III

Ganz offenbar ist unsere Welt unübersichtlich und voller Probleme, von denen wir nicht wissen, wie sie ausgehen. Und schlimmer noch: Wir wissen nicht nur nicht genau, wie die Dinge ausgehen werden, häufig haben wir auch nicht die Möglichkeit, in den Lauf der Dinge einzugreifen. Sie geschehen uns.

Wie die Menschen in den USA sich bei der Wahl verhalten und welche weltpolitischen Folgen das hat, können wir selbst kaum beeinflussen. Und selbst wenn wir dort wahlberechtigt wären, wäre unser Einfluss marginal. Was zählt schon die Stimme eines Einzelnen?
Noch deutlicher zeigt sich unsere Ohnmacht in Sachen Corona. Diese Krise ist über uns gekommen. Wir haben sie nicht gewählt und wir können sie auch nicht ohne weiteres abstellen.

IV

Ich will auf Folgendes hinaus: Das Geschehen der Welt überkommt uns häufig. Manchmal ist es zu unserem Leid, manchmal zu unserem Glück. Jedenfalls aber ist vieles, das für uns bedeutsam ist einfach gegeben. Wir selbst sind öfter als wir meinen, kaum mächtig genug, um den Lauf der Dinge zu bestimmen.

V

Im Prinzip ist dies der Hauptgrund für unsere Sorgen: Wir Sorgen uns um unsere Gesundheit, um das Glück unserer Kinder, um die weltpolitische Lage, um den Fortgang unserer Karrieren und um vieles andere mehr. Die Sorge ist immer da, wo Menschen sind, weil wir Menschen nicht alles im Griff haben und vor allem weil wir wissen, dass wir die Dinge nicht im Griff haben.

Bitte lassen Sie mich Ihnen an dieser Stelle einen Text aus dem 6. Kapitel des Matthäusevangeliums lesen:

25 Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen werdet, noch um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
26 Schaut auf die Vögel des Himmels: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheunen - euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht mehr wert als sie?
27 Wer von euch vermag durch Sorgen seiner Lebenszeit auch nur eine Elle hinzuzufügen?
28 Und was sorgt ihr euch um die Kleidung? Lernt von den Lilien auf dem Feld, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht, 29 ich sage euch aber: Selbst Salomo in all seiner Pracht war nicht gekleidet wie eine von ihnen. 30 Wenn Gott aber das Gras des Feldes, das heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen!
31 Sorgt euch also nicht und sagt nicht: Was werden wir essen? Oder: Was werden wir trinken? Oder: Was werden wir anziehen? 32 Denn um all das kümmern sich die Heiden. Euer himmlischer Vater weiss nämlich, dass ihr das alles braucht.

VI

Friedrich Kambartel, ein Philosoph des 20. Jahrhunderts, hat einmal gesagt, dass Religion eine Kultur des Verhaltens zu dem ist, was uns nicht verfügbar ist.
Der Verlauf unserer Gesundheit zum Beispiel ist uns nur begrenzt verfügbar. Deshalb sorgen wir uns in medizinischen Dingen um uns selbst.

Wie gehen Menschen mit dieser Sorge um das um, was sie selbst nicht in der Hand haben, was ihnen unverfügbar bleibt?
Unser Text aus dem Matthäusevangelium zeigt ein paar Optionen auf: Menschen können sich zum Beispiel verhalten wie die Heiden. Sie sorgen sich und sorgen sich bis sie aufgefressen werden von der Sorge.
Der christliche Glaube dagegen zeichnet sich durch ein Urvertrauen aus in einen Vater, der für all das sorgen wird, um das wir uns sorgen und das wir doch nicht in der Hand haben.
Es ist der Glaube an einen Gott, der das Leben lebenswert macht. An einen Gott, der will, dass der Mensch zuversichtlich auf sein Leben und auf seine Zukunft schaut, selbst wenn er nicht genau weiss, was ihn da erwarten wird.
Der Gott, den Christus uns vorstellt, ist kein undurchsichtiger oder gleichgültiger Gott, der fern im Himmel weilt. Sondern er ist uns Menschen nahe und wird für uns sorgen, weil er unsere Sorgen kennt. Das hat etwas befreiendes. Wer so glauben kann, wird das Leben ganz anders angehen als die Heiden, die sich vor Sorgen kaum noch zu bewegen wissen.

Gleich möchte ich den Gedankengang noch einen Schritt weiter treiben. Denn das Urvertrauen in die Güte Gottes ist noch nicht alles, was aus christlicher Perspektive zu unseren Sorgen zu sagen ist. Zunächst aber gibt es ein Stück Musik. Christian Meldau hat

VII

Wenn es so ist, dass ein Urvertrauen in Gott unsere Sorge um die Welt, den Nächsten und uns selbst überformen soll und darf, dann wäre es ja angemessen, wir Christenmenschen würden uns eine entspannte Haltung angewöhnen. Eine Haltung, die das, was da kommen mag mit Zuversicht und ja, mit Freude erwartet.

Und doch ist das nicht alles. Denn anders als andere Religionen, ist das Christentum keine Religionskultur, in der die Menschen rein in ihr Schicksal ergeben wären. Ganz im Gegenteil: Wo wir können, sollen wir etwas aus unseren Möglichkeiten machen. Wo wir das Vermögen haben, unser Leben und die Welt zu gestalten, ist es uns aufgegeben, das auch zu tun.

Auch zu dieser Haltung gibt es eine Vielzahl von Bibelstellen. Ich will ihnen beispielhaft nur zwei Sätze aus dem Neuen Testament lesen. Sie stehen im 12. Kapitel des Römerbriefs:

11 Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist.

Seid nicht träge! Seid brennend im Geist! Das scheint der erstgenannten Haltung ganz zuwider zu laufen: Nehmen wir noch einmal die Wahl in den USA als Beispiel. Wie auch immer sie ausgegangen sein mag. Wer diese Sätze des Apostel Paulus ernst nimmt, sollte sich in politischen Dingen nicht zurücklehnen. Seid nicht träge! Setzt Euch ein für Eure Überzeugungen, welche auch immer es sein mögen. Lehnt Euch nicht zurück, sondern seid brennend im Geist!

Und so soll es nicht nur in politischen Fragen sein, sondern bei allen anderen Dingen, auf die wir einen Einfluss haben, auch! Brennt für die Sache, setzt Euch ein, gestaltet die Welt und Euer Leben! Das Neue Testament ist voller Aufforderungen dieser Art.

VIII

Das Christentum ist eine eigenartige und einzigartige Religion. Eine, die uns dazu auffordert, die Dinge zu nehmen, wie sie kommen, wenn wir sie nicht ändern können - aber nie sollen wir daran verzweifeln.
Und zugleich ist der christliche Glaube ein unheimlich grosser Motivator: Gestalten sollen wir da, wo wir können, und dabei nicht nachlassen.

Das ist kein Widerspruch, sondern passt zu der Welt, in der wir Leben. Und gerade durch diese Mischung von Vertrauen und Gestaltungswillen ist unsere Religion, ist unser Glaube menschengerecht.
Was will man mehr als das?

Amen