Warum ist Gott dreifaltig?

I

Vor genau zwei Wochen haben wir uns in einem anderen rallentando-Video mit einer zweifachen Frage beschäftigt: nämlich mit der Frage, ob es Gott überhaupt gibt (einerseits) und mit derjenigen, wo er wohnt (andererseits).
Das Ergebnis war, dass der Mensch die Existenz Gottes nicht beweisen kann, dass er aber in jedem Fall darauf angewiesen ist, dennoch Bezug auf ein höheres Wesen zu nehmen.
Bei allem, was wir denken, fühlen und handelnd tun, begleitet uns das Bewusstsein, dass es einen Gott gibt, von dem wir selbst und die Welt insgesamt vollständig abhängen.

Wo also wohnt Gott? Zumindest in unsere Gefühlen, in unserem Denken und in unseren Gewissen. Im Prinzip ist das bei jedem Menschen so.

Das also war das Ergebnis unserer ersten Überlegungen zu Gott vom 01. Juli.

II

Wenn es stimmt, dass der Gedanke oder das Gefühl für ein höheres, die Welt übersteigendes Wesen, bei jedem Menschen vorkommt, dann kann man sich natürlich fragen, warum dieser Gott nicht bei allen Menschen gleich aussieht.
Die Antwort auf die Frage ist eigentlich relativ rasch gegeben: Die unterschiedlichen Glaubensformen haben ihren Grund darin, dass man sich in den unterschiedlichen Kulturen je andere Vorstellungen vom Wesen Gottes oder der Götter gemacht hat.

III

Unsere Religion, das Christentum, geht auf Jesus Christus zurück. Ohne ihn gebe es die christliche Art des Glaubens nicht. Und er selbst, so kann man den Evangelien entnehmen, ist wohl mit einem gewissen Selbstbewusstsein aufgetreten. Ich lese Ihnen gern einmal eine Stelle aus dem Johannesevangelium vor, in der Jesus seinen Jüngern erklärt, in welchem Verhältnis er zu Gott selbst steht:

8 Philippus sagt zu ihm: Herr, zeig uns den Vater, und es ist uns genug. 
9 Jesus sagt zu ihm: So lange schon bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater? 
10 Glaubst du denn nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir ist? Die Worte, die ich euch sage, rede ich nicht aus mir: Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke. 
11 Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir ist;

So heisst es also in den Versen 8-11 im 14. Kapitel des Johannesevangeliums. Andere Hochreligionen haben die Idee verfolgt, man könne Kenntnis von der Gottheit Gottes durch prophetische Stimmen erhalten.
Das Christentum ist darüber hinausgegangen. Es hat immer behauptet, Jesus sei nicht lediglich ein Prophet, sondern an ihm und durch ihn, zeigt sich für uns Gott selbst. Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.

Das ist natürlich ein ungeheurer Anspruch. Und dieser Anspruch hat dem Christentum auch eine ganze Menge von Schwierigkeiten eingebracht.

IV

Eine der ganz grossen Schwierigkeiten liegt in der Behauptung, dass Gott selbst in Jesus Christus anwesend gewesen sein soll:

Glaubst du denn nicht, so fragt Jesus seinen Jünger Philippus, dass ich im Vater bin und der Vater in mir ist?

Gott soll also ein Mensch geworden sein. Und das bedeutet ja eigentlich einen Widerspruch in sich selbst: Denn wenn Gott Gott ist, dann kann er eben nichts in der Welt sein – auch nicht ein Mensch.
Das Christentum aber hat genau dies immer festgehalten und behauptet es bis heute: Gott ist Mensch geworden! Er ist in der Welt gewesen.

V

Das Christentum ist die einzige Hochreligion, die diesen Gedanken fasst. Um dem Vorwurf zu entgehen, Gott werde hier mit der Welt vermischt, ist sogleich aber auch die Behauptung aufgestellt worden, Gott sei nicht richtig begriffen, wenn man ihn darauf beschränkt, Mensch zu sein. Vielmehr ist er zugleich auch mehr: nämlich der Vater, der von der Welt getrennt ist und bleibt.

VI

Unser Gott ist also ein Gott, der der Welt absolut überhoben und gleichzeitig in ihr gegenwärtig ist. Was zunächst so paradox klingt, ist eigentlich ganz wunderbar. Denn das Christentum hat mit dieser Idee ein Kardinalproblem gelöst, das jede Hochreligion betrifft.
Die grossen Weltreligionen haben ja das Göttliche immer so gefasst, dass es über der Welt steht. Jedenfalls ist es kein Teil der Welt.

In den Naturreligionen etwa war das noch anders. Da wurden die Natur als Ganze oder Teile aus ihr angebetet. Das bedeute aber zugleich, dass die Natur dem Menschen nicht ganz verfügbar war. Man konnte sie nicht nach Belieben bebauen und bewirtschaften. Denn es war immer ein geheimnisvoller heiliger Rest in ihr.

VII

Erst mit der Durchsetzung der grossen Religionen, die Gott über die Welt erhaben dachten, wurde das anders. Gott war nun aus der Welt. Ja, er war nun ausserhalb der Welt. Und der Mensch war auf diese Weise dazu befreit, die Welt zu bewirtschaften und sich frei in ihr zu bewegen.
Aber, und das war ein dadurch neu entstandenes Problem: Nun war Gott der Welt so fern, dass man kaum noch wusste, wer er war und wie man sich an ihn wenden könne.

VII

Das Christentum hat dieses Problem konsequent gelöst. Es gibt eine Brücke zwischen dem Jenseits und dem Diesseits, zwischen Gott und der Welt: Diese Brücke ist eine Person und hat einen Namen: Jesus Christus.

Die Christen haben Gott konsequent immer so gedacht, dass er Gott ist. Er ist deshalb jenseits der Welt. Ein völlig jenseitiger Gott aber hätte mit der Welt – mit uns Menschen also auch – gar nichts zu tun. Dieses Problem ist in der christlichen Religion so bearbeitet: Gott ist nicht nur ein jenseitiger Gott, sondern der Welt gegenwärtig: in seinem Sohn Jesus Christus.

VIII

Deshalb muss Gott mindestens zweifach gedacht werden: Als Vater, der der Welt transzendent ist und als Sohn, der der Welt gegenwärtig ist.
Die Gegenwart Gottes in der Welt beschränkt sich aber nicht darauf, dass er einmalig vor etwa 2000 Jahren in der Welt anwesend war. Das wäre zu wenig. Sondern er ist es immer wieder und immer noch. Zwar ist Jesus Christus «gekreuzigt, gestorben, begraben und aufgefahren in den Himmel», wie das alte apostolische Bekenntnis formuliert. Er ist – das will das Bild doch sagen – nun nicht mehr in der Welt.

Gott aber ist dennoch in der Welt. Und zwar wohnt er in unsere Gedanken, Gefühlen und in unserem Gewissen. Das war – wie gesagt – das Ergebnis unserer Überlegungen vom 01. Juli.

Man kann sie auch so zusammenfassen: Gott ist nicht nur in der historischen Person Jesu Christi gegenwärtig gewesen. Sondern wir glauben darüber hinaus, dass er auch in unserem Geist gegenwärtig sein kann – und eigentlich auch immer ist (selbst dann, wenn wir es nicht wahrhaben wollen oder nicht bemerken).
Gott ist sodann als heiliger Geist in unserem Geist gegenwärtig. So jedenfalls hat die christliche Tradition das Phänomen der religiösen Gedanken und Gefühle immer bezeichnet.

IX

Gott ist deshalb in unserer Tradition ein dreifaltiger Gott: Er ist als Vater der Welt überhoben, als Jesus Christus hat er sich in einer Person offenbart und zu erkennen gegeben. Wer wissen will, wie Gott ist, kann es an dem idealen Menschen Jesus Christus ablesen.
Und als heiliger Geist kann und ist er immer in unserem Bewusstsein gegenwärtig.

Wenn wir Christen an einen dreieinigen Gott glauben, dann geht es dabei vor allem darum, dass man sich einen Gott, der einerseits Jenseits der Welt ist und zugleich mit ihr – mit uns allen – im Kontakt ist, gar nicht anders denken kann als so: Als einen Gott, der wirklich Gott ist, der aber auch als Teil der Welt zu ihr gehört und in ihr ist.

Amen